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Wien, vergangenen Freitag: Demonstranten hindern einen Bus mit Burschenschaftern an der Zufahrt zum WKR-Ball. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bezeichnet sie nach wie vor als Angreifer.

Foto: AP/Punz

Wien - Heinz-Christian Strache wird vorläufig keinen Orden verliehen bekommen: Bundespräsident Heinz Fischer wird den entsprechenden Antrag des Ministerrats nicht unterschreiben, richtete seine Kanzlei am Dienstag aus. Der Bundespräsident hat per Verfassung das Recht, eine Ordensvergabe zu verweigern - auch wenn die Regierung bereits dafür gestimmt hat.

Der Grund für die Ablehnung: Strache hatte auf dem WKR-Ball im Gespräch mit einem Standard- Journalisten Angriffe gegen Burschenschafter mit der sogenannten Reichskristallnacht verglichen und die FPÖ als "die neuen Juden" bezeichnet - ohne zu wissen, mit wem er sprach.

Strache habe einen "Sager" vom Stapel gelassen, "für den er sich nur entschuldigen kann", kommentierte Außenminister und ÖVP-Chef Michael Spindelegger (ÖVP) die Äußerungen des FPÖ-Chefs. Er sei "innerlich empört". Wer Unvergleichliches zu vergleichen versuche, "muss wissen, dass er sich außerhalb jeder Möglichkeit befindet zusammenzuarbeiten".

Keine Koalitionsaussage

Ein Ausschlussgrund für eine künftige schwarz-blaue Koalition also? So wollte Spindelegger sich dann doch nicht interpretiert wissen: Die ÖVP befinde sich in einer aufrechten Koalition - "wie es nach dem nächsten Wahltag aussieht, weiß keiner von uns. Ich beteilige mich nicht an Spekulationen über die Zukunft."

Strache selbst erklärte Dienstagabend in der ZiB2, der Standard-Redakteur habe "ein Privatgespräch belauscht" und Zitate "völlig verdreht und aus dem Zusammenhang gerissen". Das Wort "Reichskristallnacht" sei in "einem völlig anderen Zusammengang" gefallen. Weiters sei der Satz "wir sind die neuen Juden" ein "Zitat von Jörg Haider, das wir dort diskutiert haben".

Diese Darstellung entspricht allerdings nicht den Tatsachen: Im persönlichen Gespräch Straches mit dem Autor fiel an diesem Abend in der Hofburg nie der Name Haider, es war auch zu keiner Zeit von einem Haider-Zitat die Rede. Dies kann eine Zeugin bestätigten, die von Anfang an an diesem Gespräch teilnahm; erst später kamen noch weitere Personen dazu. Strache hat von sich aus, ohne vom Autor darauf angesprochen worden zu sein, von Angriffen auf Burschenschaftsbuden gesprochen und diese mit der "Reichskristallnacht" verglichen, sowie den Satz formuliert, "wir sind die neuen Juden". Der Autor kann und würde dies auch vor Gericht unter Eid bezeugen. Zu diesem Gespräch gibt es ein Gedächtnisprotokoll, das noch in derselben Nacht angefertigt wurde.

"In Geschichtsbüchern"

In der ZiB2 erklärte Strache, von Armin Wolf auf mehrmalige Entgleisungen von FPÖ-Mandataren angesprochen: "Meine Partei hat mit Antisemitismus nichts zu tun. Ich habe doch Schlussstriche gezogen". Strache auf die Frage, warum er selbst immer wieder den Begriff "Reichskristallnacht" verwende, der von Opfern als verharmlosende Verhöhnung empfunden wird: "Das ist das, was uns immer wieder in den Geschichtsbüchern mitgeteilt wurde." Er habe dieses Wort "als einen entsetzlichen Begriff immer gehört und verurteilt".

FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky hatte die Aussagen am Montag in einer ersten Reaktion indirekt bestätigt - Strache habe es allerdings anders "gemeint", hatte er geschrieben.

FPÖ-Abgeordneter Harald Stefan wiederum sagte während einer Diskussionssendung im Fernsehsender Puls 4, Strache werde zu der Affäre am Mittwoch persönlich Stellung nehmen. Am Dienstag kündigte sich an, dass der FPÖ-Chef mit den einschlägigen Vergleichen fortzufahren gedenkt. Von einem seiner Facebook-Accounts wurde kurzfristig auf ein Video von den Anti-WKR-Ball-Protesten verlinkt. Titel: "Pogrom-Stimmung bei NOWKR-Demonstration".

Der aktuelle Vergleich mit dem Nationalsozialismus war nicht Straches erster: Als 2007 Fotos auftauchten, die ihn gemeinsam mit Rechtsradikalen beim Paintball spielen zeigten, verglich er die Berichterstattung in Österreichs Medien mit dem Stil des "Stürmers", der antisemitischen Propagandazeitung der Nazis.

"Die Täter-Opfer-Umkehr ist ein strukturierendes Element des Antisemitismus", sagt Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). Schon im 19. Jahrhundert seien antijüdische Ressentiments damit verteidigt worden, dass man sich gegen Juden wehren müsse. "Diese Leute müssen den Hass, den sie auf Juden fühlen, auf irgendeine Art rechtfertigen", sagt Peham.

Die Übernahme der Opferrolle gehe dabei mit der "antisemitischen Vorstellung Hand in Hand, dass Juden so unglaublich mächtig seien, dass es eine jüdische Weltverschwörung gebe", ergänzt die Sprachwissenschafterin und Antisemitismusforscherin Ruth Wodak. Als - laut Strache - "neue Juden" fühlten sich Antisemiten daher einerseits bedroht, andererseits aber auch mächtig; die Vermengung der beiden Stereotype ergibt jedenfalls einen Widerspruch.

Und zwar vor dem Hintergrund einer "zunehmenden Enthistorisierung des Nationalsozialismus", der laut Wodak "äußerst gefährlich" ist: "Holocaustvergleiche werden immer beliebiger, wie man im vorliegenden Fall sieht."

So sei vor wenigen Jahren die Intensivhaltung von Schweinen, Hühnern und anderen Nutztieren den Leiden von Menschen in Konzentrationslagern gleichgesetzt worden, erinnert sie an eine Kampagne der US-Tierschutzorganisation Peta. Das sei "völlig inakzeptabel - doch im Smoking auf einem Ball stehen, am Champagner nippen und Demonstrationen gegen dieses Ereignis mit der Reichskristallnacht vergleichen ist absurd, euphemistisch, und zudem einfach falsch".

Gegen ein solches "Relativieren der Schrecklichkeiten der Judenverfolgung" müsse die Unhaltbarkeit von derlei Vergleichen immer wieder ins Bewusstsein gerufen werden. Im vorliegenden Fall zeigten Straches Judenvergleiche deutlich, welche Ansichten in der FPÖ kursierten: "Jeder Demokrat muss sich von Derartigem distanzieren." (Irene Brickner, Tobias Müller, DER STANDARD, Printausgabe, 1.2.2012)